Zug und Regen vom 12.07.2004

Eine Zugfahrt in Indien kann sich ganz schön ziehen. Den gesamten Sonntag verbringen wir auf unseren Luxus-Liegen, schlafend, philosophierend oder Doppelkopf spielend. Sobald wir einen der unzähligen Halts dieser Strecke einlegen, füllt sich der Wagon umgehend mit Reisenden jeglichen Alters in zum Teil gewöhnungsbedürftigen Outfits und Gesundheitszuständen. Vor den sozialen Problemen dieses Milliarden-Einwohner-Staates kann sich auch kein Europäer „verstecken". Die vielgepriesenen westlichen Werte scheinen in der „größten Demokratie der Welt" niemanden zu interessieren. Das ergibt viel Diskussions- und Denkstoff für die Kulturgruppe. Auf jeden Fall ein guter Anlass, die eigenen liebgewordenen Weltsichten auf den Prüfstand zu stellen.

Je weiter wir nach Westen kommen, um so mehr verändert sich die Landschaft. Es wird zunehmend grüner und feuchter, die Palmen sind nicht mehr zerrupft und die Reisfelder erstrecken sich bis zum Horizont. Idyllisch anzuschauende Siedlungen schmiegen sich in die Landschaft. Im Vorbeifahren haben wir den Eindruck, dass hier zumindest jeder genügend Essen und Kleidung hat.

Und dann kommt der Regen. In Assam schlängelt sich die Bahnstrecke teilweise an den Ufern des Brahmaputra entlang, dessen schlammige, tobende Wassermassen der augenscheinliche Beweis dafür sind, dass der Monsun in den vergangenen Wochen bereits ganze Arbeit geleistet hat. Je näher wir unserem Ziel Guwahati kommen, um so mehr Dörfer stehen „abgesoffen" in der Landschaft. An den Bahnhöfen sind Notunterkünfte entstanden, in denen sich die Menschen drängeln und auf den Rückzug des Wassers hoffen. Vergeblich, wie sich in den kommenden Tagen zeigen wird.

Die Hauptstadt Assams, Guwahati, ist ein mit Menschen voll gestopftes „Drecknest", in dem alles grau und schlammig ist. Im Zug haben wir wieder eine unserer wahrscheinlich irgendwann sprichwörtlich werdenden Glücks-Bekanntschaften geschlossen. Der Mittdreißiger kommt aus Imphal, Hauptstadt Manipurs und unser nächstes Ziel, und hilft uns erst einmal bei der Hotelbeschaffung.

Aufgrund des seit Tagen andauernden Regens haben Erdrutsche die Straßen rings um Guwahati arg in Mitleidenschaft gezogen, so dass kaum noch Busse die Stadt verlassen können. Das hat natürlich zur Folge, dass auch die letzte Absteige voll bis unters Dach ist. Zähneknirschend buchen wir das einzige „Hotel", in dem überhaupt noch Zimmer zu bekommen sind. Fronzel ruft einen Kakalaken-Wettbewerb aus und präsentiert zum Start umgehend ein etwa daumengroßes Exemplar. Gefangen haben wir kein grösseres.

Nach zwei Tagen Schmalhans in der Küche lassen wir uns zum Ausgleich das wirklich gute Abendbrot schmecken und planen die kommenden Tage. Im Trockenen.

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