Eine Zugfahrt in Indien kann sich ganz
schön ziehen. Den gesamten Sonntag verbringen wir auf unseren Luxus-Liegen,
schlafend, philosophierend oder Doppelkopf spielend. Sobald wir einen
der unzähligen Halts dieser Strecke einlegen, füllt sich der Wagon umgehend
mit Reisenden jeglichen Alters in zum Teil gewöhnungsbedürftigen Outfits
und Gesundheitszuständen. Vor den sozialen Problemen dieses Milliarden-Einwohner-Staates
kann sich auch kein Europäer „verstecken". Die vielgepriesenen westlichen
Werte scheinen in der „größten Demokratie der Welt" niemanden zu interessieren.
Das ergibt viel Diskussions- und Denkstoff für die Kulturgruppe. Auf jeden
Fall ein guter Anlass, die eigenen liebgewordenen Weltsichten auf den
Prüfstand zu stellen.
Je weiter wir nach Westen kommen, um so mehr verändert sich die Landschaft.
Es wird zunehmend grüner und feuchter, die Palmen sind nicht mehr zerrupft
und die Reisfelder erstrecken sich bis zum Horizont. Idyllisch anzuschauende
Siedlungen schmiegen sich in die Landschaft. Im Vorbeifahren haben wir
den Eindruck, dass hier zumindest jeder genügend Essen und Kleidung hat.
Und dann kommt der Regen. In Assam schlängelt sich die Bahnstrecke teilweise
an den Ufern des Brahmaputra entlang, dessen schlammige, tobende Wassermassen
der augenscheinliche Beweis dafür sind, dass der Monsun in den vergangenen
Wochen bereits ganze Arbeit geleistet hat. Je näher wir unserem Ziel Guwahati
kommen, um so mehr Dörfer stehen „abgesoffen" in der Landschaft. An den
Bahnhöfen sind Notunterkünfte entstanden, in denen sich die Menschen drängeln
und auf den Rückzug des Wassers hoffen. Vergeblich, wie sich in den kommenden
Tagen zeigen wird.
Die Hauptstadt Assams, Guwahati, ist ein mit Menschen voll gestopftes
„Drecknest", in dem alles grau und schlammig ist. Im Zug haben wir wieder
eine unserer wahrscheinlich irgendwann sprichwörtlich werdenden Glücks-Bekanntschaften
geschlossen. Der Mittdreißiger kommt aus Imphal, Hauptstadt Manipurs und
unser nächstes Ziel, und hilft uns erst einmal bei der Hotelbeschaffung.
Aufgrund des seit Tagen andauernden Regens haben Erdrutsche die Straßen
rings um Guwahati arg in Mitleidenschaft gezogen, so dass kaum noch Busse
die Stadt verlassen können. Das hat natürlich zur Folge, dass auch die
letzte Absteige voll bis unters Dach ist. Zähneknirschend buchen wir das
einzige „Hotel", in dem überhaupt noch Zimmer zu bekommen sind. Fronzel
ruft einen Kakalaken-Wettbewerb aus und präsentiert zum Start umgehend
ein etwa daumengroßes Exemplar. Gefangen haben wir kein grösseres.
Nach zwei Tagen Schmalhans in der Küche lassen wir uns zum Ausgleich das
wirklich gute Abendbrot schmecken und planen die kommenden Tage. Im Trockenen.
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