Unser taktischer Rückzug verläuft äußerlich
erfolgreich, innerhalb der Kulturgruppe brodelt es jedoch erheblich. Trotz
der langen gestrigen Diskussion klaffen die Ansichten darüber, ob man
nicht doch nach Burma hätte „durchbrechen" können, immer noch weit auseinander.
Nach der Landung in Kolkata/Kalkutta haben wir jedoch für derartige Dispute
vorerst keine Zeit. Zwar sind wir Imphal und Guwahati entronnen, wissen
aber noch nicht, wie es jetzt überhaupt weitergehen soll. Der Flughafen
von Kalkutta ist deutlich kleiner als erwartet, hat aber als eines der
wenigen internationale Ziele Flüge nach Bangkok im Programm. Gegen 17
Uhr haben wir neun davon für den kommenden Vormittag in der Tasche und
können nun ans Wunden lecken gehen.
Mit dem Taxi rein in den Moloch, der ein noch größeres Verkehrsproblem
als Delhi hat. Die einstige Pracht der Kolonialzeit ist noch deutlich
zu sehen, inzwischen hat sich auf den Fassaden die einheimische Flora
und Fauna breit gemacht. Wir sind auf der Suche nach einem Platz zum Frust
runter spülen und landen in einer Trinkhöhle, die laut Reiseführer mit
Live-Musik punkten kann. Diese wird von wechselnden Musikern und zahlreichen
Sängerinnen auf einer umzäunten Bühne dargeboten. Davor sitzen ausschließlich
Männer, die Starkbier in sich hineingießen und ab und zu einer Sängerin
für eine ganz besonders gelungene vokalistische Leistung einen Schein
in die Hand drücken. Fotografieren ist verboten, Tanzen und Mitsingen
auch. Das machen die überall herumstehenden Mitarbeiter der Lokalität
unmissverständlich klar. Sehr seltsam, das alles.
Auf der Suche nach einer weiteren empfohlenen „Musik-Bar" gelangen wir
ungewollt (wirklich!) in Kalkuttas Traveller-Meile, eine Einrichtung,
die es ja inzwischen in so gut wie allen größeren Städten Asiens zu finden
gilt. Übernachtungsanbieter reiht sich an Übernachtungsanbieter, davor
sitzen szenig gestylte junge Touristen in Restaurants mit Lokalkolorit.
Wir werden von Michael, einem offensichtlich unter Drogeneinfluss stehenden
Restaurant-Schlepper, weggefangen und in den Biergarten eines Guesthouses
verschleppt. In dieser grünen Oase inmitten der Armut und des Drecks sezieren
wir dann die Burma-Problematik noch einmal gründlich.
Aus meiner Sicht haben wir es mit Realos und Fundis innerhalb unserer
Gruppe zu tun, die sich innerhalb kürzester Zeit lautstark austauschen.
Die Mehrheit ist der Meinung, dass die Situation in Imphal für uns undurchsichtig
und in ihrer weiteren Entwicklung nicht abschätzbar war. Es sei leider
ergebnislos alles getan worden, um nach Burma kommen zu können, der Flug
nach Kalkutta daher die beste Lösung gewesen.
Die Fundis bestehen darauf, dass das einzige wirkliche Ziel unserer Reise
und damit auch der Grund für unsere Aktivitäten die Weltumrundung ohne
Flugzeugnutzung gewesen sei. Mit unserem „Scheitern" in Imphal wäre daher
alles sinnlos geworden und der „Rest" der Tour sei nur noch Pillepalle.
Die Realos halten dagegen, dass grundsätzlich die Sicherheit unserer Gruppe
vorgehe und die weitere Strecke mitnichten frei von Wagnissen und Risiken
sei. Einigkeit wird nicht erzielt, aber Waffenstillstand vereinbart.
Nach diesem und jenen Drink verbringen wir die Nacht auf dem Flughafen
und stehen mittags in Bangkok, genau 24 Stunden nach unserem Rückzug.
Das ist geistig und emotional kaum zu fassen, eine Tour der Extreme.
Den Nachmittag nutzen wir zur seelischen und hygienischen Regeneration,
am Abend wird das Restaurant unserer Unterkunft unter Zuhilfenahme einiger
von Schnirps und Blues zusammengestellter CD's zur ostdeutschen Partyzone
umfunktioniert. Den Leuten hat's gefallen.
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