Gegen Mitternacht ist die Fahrt vorerst
vorbei, alles raus aus dem Zug und auf zur vietnamesischen Ausreise. Beim
Betreten des Bahnsteigs geht Horsts neuer Vietcong-Helm gewaltsam des
Rangabzeichens verlustig, ein Uniformierter steckt es nach vollzogener
Tat ein. Der Helm ist nunmehr unvollständig, Horst ist sauer und muss
nachdrücklich von uns beruhigt werden.
Der Übertritt ist zwar quälend langsam, jedoch überraschend unproblematisch.
Punkt 1 Uhr sitzen wir im nun größer gewordenen Zug, die Formalitäten
für die Einreise nach China werden erfolgreich während der Fahrt erledigt.
Das muss gefeiert werden. Während eine Hälfte der Kulturgruppe bereits
den Schlaf der Gerechten schlummert, läuft die andere zu bekannter Form
auf. Gegen 5 Uhr begleiten die "Jenaer Sängerknaben" laut aber nicht
schön Patti Smith beim Vortrag von "Because the Night", was auch
den resistentesten Schläfer in die Höhe treibt. Dass wir nicht von anderen
Mitreisenden gezwungen werden, auf der Strecke zu bleiben, ist tatsächlich
ein Wunder.
Morgens um 7 Uhr stehen wir in Nanning und müssen im Warteraum weiterschlafen.
Dem Vernehmen nach wird der Zug in der Zwischenzeit rangiert und um 9
Uhr dürfen wir wieder Platz nehmen. Die chinesische Art, Dinge zu organisieren,
entspricht offensichtlich nicht der Europas. Guilin empfängt uns in seiner
ganzen Neubauseeligkeit um 15 Uhr, eine Art Altstadt ist nicht auszumachen.
Uns ist es zur Gewohnheit geworden, zuerst eine gastronomische Einrichtung
auszuwählen, uns dort niederzulassen und dann von dieser Basis aus zu
operieren.
Ich habe von Deutschland aus Zugtickets von Guilin bis an die Grenze von
Hongkong gebucht, die bedenklich teuer waren. Physisch übernehmen soll
ich die Fahrscheine morgen um 15 Uhr in einem stadtbekannten Hotel. Aus
Gründen der Sicherheit wollen wir nun aber schon heute weiterfahren. Zwerg
und ich machen uns in die Spur, um herauszufinden, wo und wie man unsere
Tickets stornieren und dafür welche für den heutigen Tag erwerben kann.
Auf dem Weg zum Hongkong-Hotel spricht uns Michael an, ein agiler kleiner
Mann um die 50. Er spricht gut Englisch und bietet seine Dienste an. Nach
und nach stellt sich heraus, dass er bei einer großen Reiseagentur als
Verantwortlicher für ausländische Gruppen arbeitet und sich dabei guter
Kontakte bedienen kann. Im Hotel weiß niemand etwas von unseren Fahrkarten,
ein Besuch bei Chinas größtem Reisebüro CITS ergibt, dass niemand die
Firma kennt, bei der ich gebucht habe. Stress ergreift mich, Selbstzweifel
nagen und ich möchte mich am liebsten verkriechen.
Für heute gibt es keine Möglichkeit mehr, nach Hongkong zu kommen. Mit
Michaels Unterstützung buchen wir neun Plätze in einem Bus, der morgen
Abend die Stadt verlässt. Das beste Transportmittel überhaupt, sagt Michael.
Er will uns wie erwartet gar nicht mehr von der Seite weichen und hat
natürlich immer das Preiswerteste und Beste bei der Hand. Dass wir letztendlich
Unterkunft und Abendbrot-Lokalität auswählen, ohne auf seine geschätzten
Ratschläge zu hören, frustriert ihn dann aber doch. Dafür darf er uns
für morgen Vormittag eine Bootstour durch die berühmte Felsenlandschaft
um Guilin buchen, damit ist er sicherlich auf seinen üblichen Schnitt
gekommen.
Um 7 Uhr starten wir zum Boot, unterbrochen wird die Fahrt durch bizarre
Felsenformationen vom Besuch in einem kleinen Dorf. Wir lernen, wie ausgewachsener
Reis aussieht und dass ein Wasserbüffel lange tauchen kann. Beim Mittagessen
minimieren wir Michaels durchschnittliche Touri-Ausnehmrate noch einmal
erheblich, in dem wir ihn zwingen, die Rechnung zu bezahlen. Unser Freund
hatte gestern erklärt, Lunch sei in dem "Paket" der Bootstour mit
drin. Heute wird plötzlich eine Summe pro Person aufgerufen, ab der wir
selber zu zahlen hätten. Pech gehabt, mein Lieber.
Punkt 15 Uhr stehe ich im Hongkong-Hotel, wo bereits ein netter Herr mit
unseren Zugtickets wartet. Ich bin erleichtert und wir verkaufen die Fahrscheine
an Michael, der darauf bestimmt nicht sitzen geblieben ist. Der Unterschied
zwischen dem von uns in Deutschland bezahlten und dem tatsächlichen Preis
ist übrigens immens. Eine Lehre unserer Reise: Buche alles vor Ort, das
geht so gut wie immer und verdirbt Wucherern das Geschäft.
Um 18.30 Uhr setzt sich der Bus nach Shenzhen in Bewegung, der Grenzstadt
zu Hongkong. Wir sind eingequetscht in "Schlafkabinen", "Because
the Night" wurde in der Nacht nicht gesungen.
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zum Tagesbericht vom 29.07.2004
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