Carnet und Praying Room vom 28./ 29.06.2004

Früh um 6.30 Uhr ist für uns die Hakkari-Nacht vorbei, nach einigen auf haarsträubenden Pisten zurückgelegten Kilometern steht die türkisch-iranische Grenze im Weg. Die Kulturgruppe ist fest entschlossen, den Übertritt ohne Carnet zu wagen, das für Iran eigentlich zwingend vorgeschrieben ist. Jedoch hätte es uns in Deutschland die Hinterlegung von 5.000 € abverlangt, wobei es sehr fraglich gewesen wäre, ob wir das Geld jemals wieder gesehen hätten. Zudem soll das Gefährt in Bam dem „Roten Halbmond“ übereignet werden und künftig in dieser von einem Erdbeben schwer gezeichneten Stadt Dienst tun. Da werden wir mit unserem großen Geschenk doch wohl ungehindert einreisen dürfen.

Weit gefehlt. Nach der problemlos absolvierten Passkontrolle erkennt der Zoll umgehend unseren Mangel. Wir stellen die Uhren eineinhalb Stunden vor auf iranische Zeit ein und das Warten beginnt. Der freundliche Zolloffizier, der in Kürze zu einer Reise nach Deutschland aufbrechen will und eine eingehende Reiseberatung der Kulturgruppe erhält, hat großes Verständnis für unser Problem. Höfel stellt telefonisch den Kontakt zum Roten Halbmond her, alle Beteiligten reden mehrfach miteinander und wir scheinen bald weiterfahren zu können. Ein Fax aus Teheran soll uns die carnetlose Einreise ermöglichen. Im Warten darauf vergeht der Tag, die acht Deutschen sind inzwischen im gesamten Grenzübergang bekannt wie die bunten Hunde. Wir werden permanent interessiert angesprochen, zum Essen eingeladen, im Tischtennis herausgefordert – nur das Fax kommt nicht.

Gegen 17 Uhr Ortszeit steht dann fest, das wird heute nix mehr. Morgen früh um 10 Uhr ginge dann aber alles in Ordnung, so unser deutschlandinteressierter Offiziersfreund. Als Schlafplatz wird uns eine windschiefe Baubaracke anempfohlen, die zwei getrennte Gebetsräume für männliche und weibliche Moslems beherbergt. Wir entscheiden uns für die männliche Seite, die wie ihr Pendant mit dünnen Teppichen und einem offenen Fernster ausgestattet ist, durch das der Geruch brennenden Mülls Einzug hält.

Bereits beim Abendbrot stehen betwillige Menschen in unserer Unterkunft und schauen verwirrt auf acht kauende Ungläubige, entschließen sich aber flexibel zur Nutzung der weiblichen Seite. Ganz hart kommt es bei der Ankunft eines Reisebusses, der Gläubige beiderlei Geschlechts mit sich führt. Angesichts des Andrangs räumen wir hastig unser Domizil, richten es nach Abzug der Muselmanen dann aber zügig für die Nacht her. Im Verlauf der Nacht stehen die Insassen zwei weiterer Busse angesichts der schlafenden Kulturgruppe vor ernstlichen Problemen. Sie nehmen es mit Humor, vor allem die Frauen wollen sich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen.

Nach einer trotz „Störung“ gut verbrachten Nacht, wird das Projekt „carnetloser Grenzübertritt“ ausgeschlafen wieder in Angriff genommen. Zwei Mitarbeiter des „Roten Halbmondes“ erscheinen auf der Bühne und geben neue Hoffnung. Die Versicherung unseres Gefährts ist inzwischen geklärt und stapelweise Dokumente
werden erstellt, kopiert, gestempelt, aneinandergeheftet sowie von einem Beamten zum anderen geschafft.

Nach vier Stunden steht dann ein letztes Problem im Raum. Der Zoll besteht darauf, dass wir nur in Begleitung eines Beamten die 2000 Kilometer lange Strecke bis nach Bam zurücklegen dürfen. Durch Augenscheinsbeweis (mehrfaches kollektives Aufsitzen bei 35°C) stellen wir klar, dass im Gefährt außer uns tatsächlich kein weiterer Reisender Platz hat.

Nach langen Diskussionen und diversen Telefonaten mit der nationalen Zollbehörde in Teheran dann endlich die Lösung: Wir werden uns mit dem auf Buchgröße angewachsenen Dokumentenstapel in der für Bam zuständigen Bezirksstadt melden, den Weg dorthin dürfen wir ohne Aufpasser absolvieren. Gegen 14 Uhr fährt das Gefährt nach 28 Stunden Standzeit wieder an, da fehlt am allerletzten Tor zur Freiheit tatsächlich noch ein Stempel. Eine weitere halbe Stunde geht ins Land und schon sind wir den Fängen der iranischen Bürokratie entronnen.

Unter Führung der Kollegen vom „Roten Halbmond“ streben acht geschaffte, aber optimistisch nach vorn blickende Weltreisende Orumiyeh zu, der größten Stadt der Gegend. Hier geben unsere Halbmond-Helfer im besten Haus am Platz als Entschädigung für die erlittenen Strapazen ein persisches Mahl aus. Gut genährt machen wir uns auf den Weg nach Bam. Um den einen Tag Zeitverlust wieder aufzuholen, wird die Nacht durchgefahren.

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